Kindheit in Emden – Erinnerungen von Hermine Barkhoff, geboren 1902 

von Hermine Barkhoff · 01.07.2019
Geboren wurde ich am 29. November 1902 in Brualermoor im Kreis Aschendorf, als älteste von sechs Geschwistern. Leider sind zwei meiner Geschwister bereits verstorben. Mein Vater, ein Maurer, war oft gezwungen, außerhalb Ostfrieslands seiner Arbeit nachzugehen. Unsere Familie lebte am Treckfahrtstief, heute möglicherweise unter einem anderen Namen bekannt. Dort, im gleichen Haus, residierte auch das Ehepaar Brunken. Jahrzehnte später habe ich Frau Brunken wiedergesehen, die bis zu ihrem Lebensende in Wolthusen lebte. Besuche bei ihr haben viele Erinnerungen aus meiner Kindheit wachgerufen.

In meiner Nachbarschaft erinnere ich mich auch an die Familie Weber, insbesondere an ihren Sohn Richard, der in meinem Alter war. Wir verbrachten viele Stunden zusammen. Die Oma Weber ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, und ich habe sie später mit „Adalbert v. Chamissos Waschfrau“ verglichen, da sie sich Jahrzehnte lang als Waschfrau abrackerte. Von Oma Weber erhielt ich mein erstes Buch mit dem Titel „Robert der Schiffsjunge“, das ich verschlang und immer wieder las. Es handelte von einem Schneiderlehrling aus Pinneberg, der auf einem Segler anheuerte und zahlreiche Abenteuer erlebte. 

Während des Krieges half ein älteres Ehepaar namens Woldmer meiner Mutter bei der Landarbeit. Mein Vater war seit dem 4. August 1914 Soldat und verbrachte bis 1918 an der Front in Flandern. In den Jahren vor 1914 kamen die Fehntjer mit ihren Torfmutten oft in die Stadt, und wir spielten als Kinder gerne am Treckfahrtsweg. 

In den Wirren der Kriegsjahre hat meine Mutter, unterstützt von uns Geschwistern, den Haushalt geschmissen. Unsere Familie hatte 1 ½ Morgen Land an der Werftstraße gepachtet. Die Kriegsjahre waren besonders hart, aber dank meiner tatkräftigen Mutter überstanden wir sie. 

Die Schule in Wolthusen war geprägt von großen Klassen und Ungerechtigkeiten. Ein Vorfall, bei dem ich zwei Tage von der Schule fernbleiben musste und dafür „bestraft“ wurde, indem ich von der ersten Bank auf die unterste gesetzt wurde, hat mich nachhaltig empört. Nach der Intervention meines Vaters konnte ich meinen Platz zurückerobern. 

Die Erziehung lag hauptsächlich in den Händen meiner Mutter, die während der Kriegsjahre allein mit uns Kindern war. Wir führten ein bescheidenes Leben, geprägt von den sozialen Verhältnissen der damaligen Zeit. Mein Vater war Maurer-Zimmerer, und die finanziellen Unsicherheiten waren in diesen Jahren spürbar. 

Als älteste Tochter musste ich meine Mutter während des Krieges unterstützen, vor allem als unser Vater eingezogen wurde. Später bekamen wir einen Morgen Land im Kleingartenverein, und die Landarbeit wurde uns näher. Trotz der Widrigkeiten der Zeit haben uns die Erfahrungen dieser Jahre geprägt und befähigt, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. 

Mit 14 Jahren begannen meine Geschwister Lehren in verschiedenen Städten, darunter Bremen, Hannover, Minden und Zschornewitz. Durch meinen Bruder, der zur See fuhr, kam ich selbst viel herum, von Trier bis Danzig, an 15 verschiedenen Orten. 

Die Schulzeit war geprägt von Kreisspielen, Ringel, Range, Rose, Tauspringen und Stelzenlaufen. Auch Murmelspiele, wie das Knickerspiel, waren beliebt. Wir fanden immer neue Orte, um ein Loch für den Pott zu machen. 

Meine Spielgefährten wechselten im Laufe der Jahre. In den ersten Schuljahren waren wir drei Mädchen, die einen weiten Schulweg hatten und viel miteinander spielten. Später, nach einem Umzug und dem Besuch einer anderen Schule, schloss ich Freundschaft mit einem Mädchen aus meiner Nachbarschaft. Wir wurden sogar von unserer Hauswirtschaftslehrerin oft verwechselt. 

Die Jugendjahre brachten auch neue Freundschaften mit Hilda, die in unsere Nachbarschaft zog. Wir waren eng verbunden, bis sich unsere Wege trennten. Nach 30 Jahren trafen wir uns wieder und sind nun wohl die letzten Überlebenden aus unserer Klasse. 

Die Schulausflüge waren feste Bestandteile unserer Jugend, ob nach Logabirum oder in die Auricher Gegend. Leider fielen diese Ausflüge während des Ersten Weltkriegs aus. In den Ferien zog es mich meist zu meinen Großeltern im Rheiderland, jenseits der Ostfriesischen Grenze. 

Das politische Ereignis, das meine Jugend prägte, war zweifelsohne die Revolution von 1918. Die Abschaffung der Monarchie, das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen und die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstags markierten einen tiefgreifenden Wandel. 

Natürlich darf auch das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht unerwähnt bleiben. Die Zeit der Bombenangriffe in Emden erlebte ich hautnah mit meiner Mutter auf freiem Feld. Es waren schwere Zeiten, die uns prägten und nachhaltig in Erinnerung blieben. 

Nach dem Krieg wurde ich Hausfrau, und das Leben normalisierte sich nur langsam. Die Erlebnisse meiner Kindheit und Jugend haben mich geprägt und lehren mich, wie wichtig es ist, für den Frieden einzustehen. Möge die Menschheit alles dafür tun, dass nie wieder Krieg über sie kommt. 


Anmerkungen: 

Dieser Text wurde von Wilma Strodthoff im Juli 2019 transkribiert. 
Unklarheiten in der Vorlage wurden durch Klammern oder Fragezeichen kenntlich gemacht. 

Bei manchen Wörtern und Namen gibt es Unsicherheiten, die durch (—?) oder (?) dargestellt sind. 

Es wurde versucht, den Text so originalgetreu wie möglich zu übertragen. 

Titelbild: Von Frank Vincentz – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86350041